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London kommt!

Pückler und Fontane in England

Klaus-Werner Haupt

Im Herbst 1826 reist Hermann Fürst von Pückler-Muskau erneut auf die Britischen Inseln, denn er ist auf der Suche nach einer vermögenden Braut. Aus der Glücksjagd wird eine Parkjagd, in deren Folge die Landschaftsgärten von Muskau und Branitz entstehen. Theodor Fontane kommt zunächst als Tourist nach London, 1852 als freischaffender Feuilletonist, 1855 im Auftrag der preußischen Regierung. Die Erlebnisse der beiden Protagonisten sind von überraschender Aktualität.

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Gorm Grymme

Gorm Grymme

Theodor Fontane

„Ich sprech es: Er ist tot"

Gorm Grymme, der Legende nach erster König von Dänemark, liebt seinen Sohn, den Fontane Harald nennt, so sehr, dass er demjenigen mit der Hinrichtung droht, der ihm jemals melden würde, dass sein Sprössling ums Leben gekommen sei.

Eines Tages sticht Harald mit einer Flotte von 300 Schiffen in See. Nur drei davon kehren zurück und eines führt die Leiche des Königssohns an Bord.

Die Königin, die als erste davon erfährt, übernimmt es, ihrem Gemahl die traurige Botschaft zu überbringen. Sie tut es, indem sie sich schwarz kleidet, in den königlichen Gemächern Kerzen aufstellt und die bunten Stoffe durch schwarze ersetzt. Daraus erkennt der König, was geschehen ist und spricht es nun selbst aus. Dann macht er seine Drohung wahr und beendet sein eigenes Leben.

Fontanes Ballade zeigt auf, dass auch Könige nicht allmächtig sind und Drohungen sich gegen den kehren können, der sie ausspricht.

Florian Russi

König Gorm herrscht über Dänemark,
Er herrscht' die dreißig Jahr,
Sein Sinn ist fest, seine Hand ist stark,
Weiß worden ist nur sein Haar,
Weiß worden sind nur seine buschigen Brau'n,
Die machten manchen stumm;
Im Grimme liebt er dreinzuschaun, -
Gorm Grymme heißt er drum.

Und die Jarls kamen zum Fest des Jul,
Gorm Grymme sitzt im Saal,
Und neben ihm sitzt, auf beinernem Stuhl,
Thyra Danebod, sein Gemahl;
Sie reichen einander still die Hand
Und blicken sich an zugleich,
Ein Lächeln in beider Augen stand, -
Gorm Grymme, was macht dich so weich?

Den Saal hinunter, in offner Hall,
Da fliegt es wie Locken im Wind,
Jung-Harald spielt mit dem Federball,
Jung-Harald, ihr einziges Kind,
Sein Wuchs ist schlank, blond ist sein Haar,
Blau-golden ist sein Kleid,
Jung-Harald ist heut fünfzehn Jahr,
Und sie lieben ihn allbeid.

Sie lieben ihn beid; eine Ahnung bang
Kommt über die Königin,
Gorm Grymme aber, den Saal entlang
Auf Jung-Harald deutet er hin,
Und er hebt sich zum Sprechen, - sein Mantel rot
Gleitet nieder auf den Grund:
»Wer je mir spräche, 'er ist tot',
Der müsste sterben zur Stund.«

Und Monde gehn. Es schmolz der Schnee,
Der Sommer kam zu Gast,
Dreihundert Schiffe fahren in See,
Jung-Harald steht am Mast,
Er steht am Mast, er singt ein Lied,
Bis sich's im Winde brach,
Das letzte Segel, es schwand, es schied, -
Gorm Grymme schaut ihm nach.

Und wieder Monde. Grau-Herbstestag
Liegt über Sund und Meer,
Drei Schiffe mit mattem Ruderschlag
Rudern heimwärts drüber her;
Schwarz hängen die Wimpel; auf Brömsebro-Moor
Jung-Harald liegt im Blut, -
Wer bringt die Kunde vor Königs Ohr?
Keiner hat den Mut.

 

Thyra Danebod schreitet hinab an den Sund,
Sie hatte die Segel gesehn;
Sie spricht: »Und bangt sich euer Mund,
Ich meld ihm, was geschehn.«
Ab legt sie ihr rotes Korallengeschmeid
Und die Gemme von Opal,
Sie kleidet sich in ein schwarzes Kleid
Und tritt in Hall und Saal.

In Hall und Saal. An Pfeiler und Wand
Goldteppiche ziehen sich hin,
Schwarze Teppiche nun mit eigener Hand
Hängt drüber die Königin,
Und sie zündet zwölf Kerzen, ihr flackernd Licht,
Es gab einen trüben Schein,
Und sie legt ein Gewebe, schwarz und dicht,
Auf den Stuhl von Elfenbein.

Ein tritt Gorm Grymme. Es zittert sein Gang,
Er schreitet wie im Traum,
Er starrt die schwarze Hall entlang,
Die Lichter, er sieht sie kaum,
Er spricht: »Es weht wie Schwüle hier,
Ich will an Meer und Strand,
Reich meinen rotgoldenen Mantel mir
Und reiche mir deine Hand.«

Sie gab ihm um einen Mantel dicht,
der war nicht golden, nicht rot,
Gorm Grymme sprach: »Was niemand spricht,
Ich sprech es: Er ist tot.«
Er setzte sich nieder, wo er stand,
ein Windstoß fuhr durchs Haus,
die Königin hielt des Königs Hand,
die Lichter loschen aus.

(Erstdruck 1872) 

*****

Bild: König Gorm erhält die Nachricht vom Tod seines Sohnes. Gemälde von August Carl Vilhelm Thomsen (1813-86).

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