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Bernd Seite

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Berndt Seite wirft einen Blick in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Nicht nur seine eigene, sonderen auch auf Blick auf die Menschheit als Ganzes.

Daheim statt Heim

Daheim statt Heim

Christoph Lixenfeld

Gründung der Regionalgruppe "Daheim statt Heim in Westerstede" in Niedersachsen
Gründung der Regionalgruppe "Daheim statt Heim in Westerstede" in Niedersachsen
Es ist eine der interessantesten Fragen an Deutschlands Sozialpolitik: Warum kann ein bestimmtes 'Produkt' - der Pflegeheimplatz - massenweise hergestellt und 'verkauft' werden, obwohl sämtliche Befragungen zum Thema ergeben, dass es fast niemand haben will, ja dass es geradezu verhasst ist? Warum landen immer noch so viele Menschen in Heimen? Obwohl doch jeder so lange wie möglich zuhause bleiben möchte, selbst wenn er pflegebedürftig ist. Obwohl selbst die Betreiber solcher Einrichtungen zugeben, dass fast niemand freiwillig in ein Heim zieht.
Also unfreiwillig, sprich gezwungenermaßen: Offensichtlich findet es die Gesellschaft normal, dass 20-Jährige über ihren Lebensstil selbst bestimmen können, 80-Jährige aber nicht, dass sie ins Heim müssen, weil es zu wenige Alternativen dazu gibt oder sich diese Alternativen schwer organisieren lassen, dass sich viele das Zimmer im Heim teilen müssen mit einem wildfremden Menschen, den sie sich nicht ausgesucht haben.
Sitzung des Beirats der Bundesinitiative "Daheim statt Heim" in Berlin
Sitzung des Beirats der Bundesinitiative "Daheim statt Heim" in Berlin
Heime erzeugen einen Heimsog: Sind sie erst gebaut, müssen die Betreiber alle Hebel in Bewegung setzen, um sie zu füllen. Und die Verantwortlichen der Kommune sind von der Pflicht befreit, intelligente Lösungen für eine Betreuung zu Hause zu finden.
Wichtig sind Alternativen dazu auch, damit wir keinen kollektiven Realitätsverlust erleiden. Denn je mehr Menschen bis zum Schluss in ihrer gewohnten Umgebung - und damit im Blickfeld ihrer Nachbarn - leben, desto mehr setzt sich die Gesellschaft damit auseinander, dass Behinderung, Alter und Pflegebedürftigkeit keine Ausnahmen, sondern Normalität sind.
Silvia Schmidt, Vorsitzende von "Daheim statt Heim" bei der Demonstration zum 5. Mai 2011 vor dem Brandenburger Tor in Berlin
Silvia Schmidt, Vorsitzende von "Daheim statt Heim" bei der Demonstration zum 5. Mai 2011 vor dem Brandenburger Tor in Berlin
Für diesen Bewusstseinswandel setzt sich die Initiative ein. "Daheim statt Heim" ist eine politische Non-Profit-Organisation. Sie wurde Ende 2006 von Silvia Schmidt gemeinsam mit Wissenschaftlern, Pflegeexperten, Fachjournalisten, Politikern und Selbsthilfeorganisationen gegründet. Sie hat mehr als 1000 Unterstützer, darunter viele Prominente aus ganz unterschiedlichen Bereichen, die sich auf der Webseite der Initiative zu dieser bekennen.
Zu ihnen gehören Richard von Weizsäcker, Alfred Biolek, Bruno Ganz, Nina Ruge, Dieter Hallervorden und viele andere.
Zusammen mit diesen Partnern, mit Institutionen und Firmen, die diese Ideen teilen, arbeitet die Initiative systematisch auf ihre Ziele hin. Dies geschieht durch die politische Arbeit in Berlin, durch professionelle Public Relations, durch Service und Beratung, durch Aktionen, Aktionstage und Initiativen sowie durch die Zusammenarbeit mit Hochschulen und anderen wissenschaftlichen Einrichtungen.
Daheim statt Heim ist davon überzeugt, dass Nachbarschaften wieder gestärkt werden müssen; was gebraucht wird, sind Wahlverwandtschaften im Goetheschen Sinne. Ohne sie sind die zukünftigen epochalen Aufgaben nicht zu meistern, die der demographische Wandel mit sich bringt.
Statt 'großen', institutionalisierten Angeboten setzt sich die Initiative viel mehr für Niedrigschwelliges, Alltägliches, Naheliegendes ein. Allein die Befreiung einer Wohnung von Stolperfallen zum Beispiel beschert der Bewohnerin ein unendliches Plus an Lebensqualität.
Unterstützer der Initiative mit Silvia Schmidt, vlnr: Andrea Nahles, Silvia Schmidt, Ilja Seifert, Ursula Engelen-Käfer, Michael Wiedeburg
Unterstützer der Initiative mit Silvia Schmidt, vlnr: Andrea Nahles, Silvia Schmidt, Ilja Seifert, Ursula Engelen-Käfer, Michael Wiedeburg
Schön und gut, werden viele Menschen an dieser Stelle sagen, aber ganz, völlig ohne Heime geht es doch nicht....
Ist das wirklich so? Ein Blick auf das Nachbarland Dänemark lässt Zweifel aufkommen. Dort gibt es keine Heime, wie wir sie in Deutschland kennen. Wer es gar nicht mehr in den eigenen vier Wänden schafft, bekommt eine Pflegewohnung. In einer solchen leben aber relativ viel weniger Menschen als in Deutschlands Heimen. Und mit diesen sind dänische Pflegewohnungen auch nicht zu vergleichen. Hier Doppelzimmer und Satt- und Sauber-Pflege im Akkord, dort richtige Wohnungen mit eigenen Möbeln und ein Zahlenverhältnis zwischen Bewohnern und Helfern von nahezu eins zu eins.

Daheim statt Heim will nicht erst die Heime schließen und dann weitersehen, sondern natürlich ist es sinnvoll, als erstes die ambulanten Strukturen auf- und auszubauen und erst dann Heimplätze abzubauen.
Ambulant ist menschenwürdiger als stationär. Und es kostet sehr viel weniger Geld. Die Heimsuchung ruiniert nicht nur das Recht auf Selbstbestimmung, die Heimsuchung ruiniert auch Sozialkassen und öffentliche Haushalte.
Das Ziel von Daheim statt Heim ist kein geringeres, als öffentliches Bewusstsein für diese Zusammenhänge zu schaffen, zu informieren und die Gesellschaft bei diesem notwendigen und unvermeidbaren Transformationsprozess zu unterstützen. Wie sagte Professor Klaus Dörner, profiliertester Vertreter der deutschen Sozialpsychiatrie und Mitstreiter der Bundesinitiative Daheim statt Heim: „Jetzt bricht die Zeit mit dem größten Hilfebedarf der Menschheitsgeschichte an." Dieser Bedarf sollte nicht dadurch gedeckt sein, dass massenhaft Menschen in Heimen kasernieren, sondern indem allen, also jungen, alten, behinderten und nicht behinderten Menschen zu jenem eigenständigen, selbst bestimmten Leben verholfen wird, das ihnen zusteht, auf das sie ein Recht haben.

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Fotos: Mirco Hanke

weitere Informationen finden Sie auf der Webseite: Daheim statt Heim e. V.

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