Deutschland-Lese

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Gestaltungsoptionen für einen zukunftsfähigen Arbeits- und Gesundheitsschutz im Pflege- und Dienstleistungssektor

P. Fuchs-Frohnhofen, T. Altmann, S. Schulz, L. M. Wirth, M. Weihrich (Hg.)

Die Pflegebranche ist für die Arbeitsforschung aus mehrern Gründen pragmatisch: Es existieren hohe Belastungen, dabei auch nach wie vor erhebliche körperliche, doch vorallem psychische. Zusätzlich steht die Pfegebranche vor dem Problem, dass immer mehr pflegebedürftige Menschen einer sinkenden Anzahl von Pflegefachkräften gegenübersteht. In der Publikation werden die Ergebnisse einer Zusammenstellung von Verbundprojekten aus dem BMBF mit dem Förderschwerpunkt "Präventive Maßnahmen für die sichere und gesunde Arbeit von morgen" bereitgestellt.

Unser Leseangebot
Kampf um die Deutungshoheit in der Geschichte

Kampf um die Deutungshoheit in der Geschichte

Heiner Timmermann

Ein weiteres Beispiel: Hereros und Nama – Völkermord?

Von den europäischen Großmächten war das Deutsche Reich eine der letzten, welche Ende des 19. Jahrhunderts noch Kolonien in Übersee erwarb. Auf die Einzelheiten des seit 1884 begonnenen Kolonialerwerbs kann hier nicht eingegangen werden. Reichskanzler Otto von Bismarck war der Auffassung, dass die Kosten, welche Gründung und militärische Sicherung der von Deutschland überhaupt noch zu gewinnenden Kolonial­gebiete erforderten, in keinem Verhältnis zum Nutzen stünden und unterstützte daher keine Bestrebungen zum Kolonialerwerb in Übersee (Walle).

Das Deutsche Reich annektierte 1884 Togo, Kamerun und Deutsch‑Südwest­-Afrika als Schutzgebiete, 1885 folgte Deutsch-Ostafrika. Den Kolonialstatus erhielten Deutsch-Südwest- und Deutsch-Ostafrika 1893 bzw. 1891, Togo 1905.

1904-1908 kam es in Deutsch-Südwest-Afrika zu Aufständen der Herero- und Nama-Stämme, die vom Deutschen Reich niedergeschlagen wurden. Die Opferzahlen der Aufständischen schwanken zwischen 45.000 und 75.000, die der Deutschen etwas mehr als 1.400.

Kamelreiterkompanie der deutschen Schutztruppe während des Herero-Aufstands, 1904
Kamelreiterkompanie der deutschen Schutztruppe während des Herero-Aufstands, 1904

Die Armenien-Resolution des Deutschen Bundestages vom 2. Juni 2016 hat in gewissen Kreisen der Bevölkerung in Deutschland die Diskussion um das Verhalten der Deutschen in Namibia (Deutsch- Südwestafrika) 1904-1908 wiederbelebt. Die einen verlangen ein Schuldanerkenntnis wegen der Vorgänge gegen die Hereros und Namas von 1904-1908 und nennen es Völkermord, die anderen wiegeln ab.

Seit der Antike kennt man Völkermorde. In der Geschichte der Menschheit hat es immer wieder die Vernichtung ganzer Völker gegeben.

Aufgabe der Geschichtswissenschaft ist die Ermittlung eines möglichst umfassenden und möglichst zuverlässigen wahren Geschichtsbildes als der geistigen Form, in der sich eine Kultur über ihre Vergangenheit Rechenschaft gibt. Drei Voraussetzungen verlangt die Forschungsarbeit des Historikers:

1. Den inneren Antrieb, Fragen an die Vergangenheit zu stellen – also nicht rezipierend Geschichte in sich aufzunehmen, sondern aktiv an der Entstehung und Vervollkommnung des gültigen Geschichtsbildes mitzuwirken.

2. Die natürliche Begabung und den Sachverstand, die Erkenntnisquellen aufzuspüren, die zur Beantwortung der gestellten Frage verhelfen könnte.

3. Die kritische Fähigkeit, die gefundenen Quellen fehlerfrei auszuwerten, d. h. ihnen durch einen Schleier von Entstellung und Lückenhaftigkeit, die von Verworrenheit und Mehrdeutigkeit, von Widersprüchen, Tendenzen und Lügen ein möglichst hohes Maß an wahren Aussagen abzuringen (Ashaver von Brandt).

Eigentlich haben nach diesen Ansprüchen „Weiße Flecke“ in der Geschichtsschreibung keinen Platz. Aber bei einer zu engen Verkettung von Geschichte und Politik lief und läuft Geschichte stets Gefahr, Instrument zu werden. „Die Kenntnis der Vergangenheit ist unvollkommen ohne die Bekanntschaft mit der Gegenwart; ein Verständnis der Gegenwart gibt es nicht ohne die Kenntnis der früheren Zeiten. Die eine reicht der anderen die Hände“ (Ranke). Diese Worte Rankes dürfen nicht als eine falsche Politisierung der Geschichte verstanden werden. Das Bild vom Ineinander von Geschichte und Gegenwart warf und wirft erneut die Frage nach den gesellschaftlichen Funktionen der Geschichte auf. Geschichte kann nicht mehr als reine Erkenntniswissenschaft bleiben. „Sie stellt sich bewusst in die geistige und politische Lebensnot unserer Zeit“ (Hofer). Da Politik das Gestaltungselement der Gegenwart ist und damit auch der Geschichte, sind Geschichte und Geschichtsschreibung in einem erheblichen Maß von den zeitgenössischen geistigen, sozialen, ideologischen, wirtschaftlichen, rechtlichen, gesellschaftlichen Einflüssen zwar nicht immer abhängig, aber dennoch von diesen geprägt.

Reiter der Schutztruppe beim Gewehrreinigen in Swakopmund, vor 1910
Reiter der Schutztruppe beim Gewehrreinigen in Swakopmund, vor 1910

Ranke stelle 1836 fest, dass die Historie die Politik nicht verbessert habe, wohl sei sie von ihr verderbt worden. Diese in einen Vorwurf gekleidete Feststellung wurde mit der Forderung verbunden: Lieber Geschichte auf Politik als Politik auf Geschichte wirken zu lassen (Hofer). „Ehrfurcht vor der Geschichte“, so schrieb Michael Salewski, „haben die Herrschenden nämlich niemals empfunden, Geschichte war immer ein politisches Instrument“.

An dieser Stelle stehen wir bei unserem Thema.

Es gibt in Deutschland Wissenschaftler und Abgeordnete, die der Meinung sind, dass der zwischen 1904 und 1908 von den Deutschen in Deutsch-Südwestafrika – im heutigen Namibia – niedergeschlagene Aufstand der Hereros und Namas mit der Tötung von 35.000 bis 60.000 Hereros und 10.000 Namas Völkermord gewesen sei. Hinrich Schneider-Waterberg, ein Amateurhistoriker aus Namibia, lehnt diese Version ab.

Das britische Blue Book von 1918, das die deutsche Kolonialverwaltung in Südwestafrika mit dem Vorwurf des Völkermordes zwischen 1904 und 1908 belastete, wurde seltsamerweise von den Briten bis 1935 vollkommen eingestampft. Es gab einige übrig gebliebene Exemplare und 2003 eine erneute Edition. Die Vorwürfe in diesem Blue Book, das ist offensichtlich, waren auch Vorbereitung auf die Entziehung der deutschen Kolonien.

Die heute weitverbreitete Ansicht vom Völkermord fand ihren erneuten Anfang auf dem XXII. Parteitag der KPdSU (1961) mit dem Aufruf zum antiimperialistischen Kampf. Horst Drechsler, ein DDR-Historiker, griff das Thema in seiner 1966 veröffentlichten Habilitation 1966 auf. Er bezieht sich auch auf das Blue Book von 1918 und leitete damit eine heute gängige Geschichtsdeutung an. Verbrechen – auch in Kriegszeiten - sind durch Erbsenzählerei nicht weg zu diskutieren.

Zwischen Deutschland und Namibia gibt es seit einiger Zeit Verhandlungen zu diesen Ereignissen. Namibia, so der namibische Beauftragte Zedikia Ngavirue, erwartet:

1. Die Anerkennung des Völkermordes,

2. Die Entschuldigung Deutschlands,

3. Reparationsleistungen durch Deutschland.

Deutschland möchte keine Entschädigungszahlungen leisen – Wohin auch? Wem auch? Es möchte lieber in zukunftsweisende Projekte investieren. Die Verhandlungen zwischen dem deutschen Auswärtigen Amt und Namibia dauern an.

„Seit der Unabhängigkeit der Republik Namibia im Jahr 1990 haben sich besonders intensive bilaterale Beziehungen zur Bundesrepublik Deutschland entwickelt.

Diese gehen zurück auf die gemeinsame Kolonialgeschichte (1884-1915) und die daraus erwachsende besondere Verantwortung Deutschlands, die enge kulturelle Verbindung zu der deutschsprachigen Gemeinschaft sowie auf über zwei Jahrzehnte nachhaltiger und substantieller bilateraler Entwicklungszusammenarbeit im Umfang von über 800 Millionen Euro (höchste deutsche Leistung pro Kopf in Afrika).

Richtungweisend für die deutsche Namibia-Politik war eine Entschließung des Deutschen Bundestags 1989, in der die historische und politische Verantwortung Deutschlands gegenüber Namibia festgestellt wurde. In einer weiteren Entschließung 2004 gedachte der Bundestag der Opfer des Kolonialkrieges 1904-1908 und bekräftigte erneut seinen Willen, die guten bilateralen Beziehungen zu Namibia zu vertiefen. 2007 besuchte der namibische Parlamentspräsident Gurirab Berlin, 2008 reiste Bundestagspräsident Lammert nach Namibia. Weiter gefestigt wurden die parlamentarischen Beziehungen durch die Gründung einer Namibisch-Deutschen Freundschaftsgruppe im namibischen Parlament, die im März 2013 erstmals Berlin besuchte. Der Deutsche Bundestag pflegt die Beziehungen zum namibischen Parlament über die Parlamentariergruppe SADC-Staaten.

Das deutsch-namibische Sonderverhältnis fand seinen Ausdruck in zahlreichen weiteren hochrangigen politischen Kontakten auf Regierungsebene. Hervorzuheben sind die Besuche von Bundeskanzler Kohl (1995) und Bundespräsident Herzog (1998) in Namibia sowie die Deutschland-Besuche von Staatspräsident Nujoma (1996 und 2002) und Staatspräsident Pohamba (2005). Bundespräsident a. D. Köhler vertrat die Bundesrepublik Deutschland bei den Feierlichkeiten anlässlich des 25. Jahrestags der Unabhängigkeit Namibias und Amtseinführung des neuen Präsidenten Geingob im Jahr 2015.

Im Jahr 2003 reiste der damalige Außenminister Fischer nach Namibia. Im Januar 2013 führte die namibische Außenministerin im Rahmen eines Antrittsbesuches in Berlin Gespräche mit dem damaligen Außenminister Westerwelle und dem Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung in Berlin. Im Juni 2014 traf sie erneut in Berlin mit Außenminister Steinmeier zusammen.

Überlebende Herero nach der Flucht durch die Wüste
Überlebende Herero nach der Flucht durch die Wüste

An den zentralen Gedenkfeierlichkeiten zum 100. Jahrestag des Beginns des grausamen Kolonialkriegs in Namibia nahm 2004 die damalige Bundesministerin für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Wieczorek-Zeul teil. Ihr Amtsnachfolger Niebel besuchte Namibia in den Jahren 2010, 2011 und 2013. Im April 2012 weilte die damalige Bundesministerin für Bildung und Forschung Schavan anlässlich der Unterzeichnung einer Erklärung zur Errichtung des "Southern African Science Service Centre on Climate Change and Adaptive Land Management" in Windhuk.

Auf Länder- und kommunaler Ebene gibt es vergleichbar rege Kontakte. Beispiele hierfür sind die Städtepartnerschaften Windhuks mit Berlin und Bremen. Zwischen kirchlichen Gruppen, Nichtregierungsorganisationen und Wissenschaftlern beider Länder besteht ebenfalls ein intensiver Austausch“ (AA).

Jüngste Entwicklungen:

Aus der Frankfurter Rundschau vom 13.7.2016:

„Die deutsche Regierung hat erstmals in einem offiziellen Dokument die Massaker an den Herero und Nama als Völkermord anerkannt. Diese zuvor von Deutschland vermiedene Einstufung der Ereignisse von 1904 bis 1908 im heutigen Namibia „spiegelt die Position der Bundesregierung wider“, antwortet sie auf eine Anfrage der Linksfraktion im Bundestag, …“.

Konsens bestehe bereits darüber, dass es eine gleichlautende Resolution des Bundestages und des namibischen Parlaments geben soll, in der der Völkermord verurteilt werde. Zudem soll es eine offizielle Entschuldigung der Bundesrepublik geben, die Bundespräsident Joachim Gauck aussprechen könne.

Erstmals rückt die Bundesregierung offen von der Deutung ab, dass die bisher von Deutschland geleistete Entwicklungshilfe für Namibia bereits eine Art Reparation gewesen sein könnten. Nun heißt es, „Entwicklungsgelder dienen entwicklungspolitischen Zwecken und werden nicht anders deklariert.“

Die Frage lautet: Wie lange geht man in die Geschichte zurück, kann man zurückgehen, um Unrecht zu heilen?

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Bildquellen:

Vorschaubild, Gefangene Herero in Ketten, Urheber unbekannt, gemeinfrei

Kamelreiterkompanie der deutschen Schutztruppe während des Herero-Aufstands, 1904, gemeinfrei

Reiter der Schutztruppe beim Gewehrreinigen in Swakopmund, vor 1910, gemeinfrei

Überlebende Herero nach der Flucht durch die Wüste, Quelle: Galerie Bassenge, 1907, gemeinfrei

Reiter der Schutztruppe beim Gewehrreinigen in Swakopmund, vor 1910

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