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Sommerschnee

Berndt Seite

Hardcover, 124 S., 2020 erscheint demnächst; Bereits vorbestellbar

ISBN: 978-3-86397-134-2
Preis: 15,00 €

Sommerschnee – das sind die luftig-bauschigen Samenfasern der Pappelfrüchte, die sich im Sommer öffnen und die Welt mit ihrem weißen Flaum überziehen: Schnee in der wärmsten Jahreszeit. Mal melancholisch, mal mandelbitter, aber stets in größter Genauigkeit geht Berndt Seite auch in seinem neuen Lyrikband den Erscheinungsformen der Natur nach und lotet in ihnen die Bedingungen des Lebens aus.

Der König in Thule

Der König in Thule

Johann Wolfgang von Goethe

Nur, wer die Sehnsucht kennt...

Es war einmal ein König, er herrschte über Thule, dem nach griechischen Sagen nördlichsten Inselreich der Erde. Er hatte eine Geliebte, der er treu verbunden war. Bevor sie starb, schenkte sie ihm einen goldenen Becher als Zeugnis ihrer Liebe und Treue. Diesen Becher hielt der König in höchsten Ehren. Bei festlichen Anlässen („Schmaus") trank er daraus, und er trank sehr viel („die Augen gingen ihm über"), sein Liebeskummer ist ihm der Anlass dafür. Auch wenn er Ritterrunden abhält, hebt er den Becher. Das erinnert an König Artus und den Gral.

Alles ist der König bereit, seinen Erben weiterzugeben, nur eines nicht, den goldenen Becher. Er ist das Symbol seiner einzigartigen Liebe und nicht für andere gedacht. Deshalb wirft er ihn ins Meer, wo er in der Tiefe versinkt.

Goethe schrieb den König in Thule im Jahr 1774 und baute ihn in sein Faustdrama ein. Gretchen singt die Verse und denkt und hofft dabei auf Liebe und Treue zwischen ihr und Heinrich Faust, eine Hoffnung, die nicht in Erfüllung geht. Dies macht auch die Ballade zu einem Ausdruck der Sehnsucht und nicht zu einer geschichtlichen Reflexion.

Florian Russi

Es war ein König in Thule,
Gar treu bis an das Grab,
Dem sterbend seine Buhle
Einen goldnen Becher gab.

Es ging ihm nichts darüber,
Er leert' ihn jeden Schmaus;
Die Augen gingen ihm über,
So oft er trank daraus.

Und als er kam zu sterben,
Zählt' er seine Städt' im Reich,
Gönnt' alles seinen Erben,
Den Becher nicht zugleich.

Er saß beim Königsmahle,
Die Ritter um ihn her,
Auf hohem Vätersaale,
Dort auf dem Schloß am Meer.

Dort stand der alte Zecher,
Trank letzte Lebensglut,
Und warf den heil‘gen Becher
Hinunter in die Fluth.

Er sah ihn stürzen, trinken
Und sinken tief ins Meer,
Die Augen täten ihm sinken,
Trank nie einen Tropfen mehr.

 

*****

 - Vorschaubild: Die mythische Insel Thule. Ausschnitt aus der Carta Marina, gezeichnet 1539 von Olaus Magnus. Quelle: wikimedia commons

 

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